QUABAIN

Apotheker schlagen Alarm

Arzneimittelengpässe nehmen nicht nur in einzelnen Apotheken zu

02.08.19

Gefährlicher Engpass: Selbst gängige Arzneimittel sind oftmals nicht lieferbar Bild: pa

Den Patienten zu versorgen und zu beraten, das macht den Apothekern und ihrem pharmazeutischem Personal in der Apotheke für gewöhnlich Freude. Wenn aber die Ware knapp wird, kann es auch für den findigsten Problemlöser schwierig werden. Doch genau vor diesem Problem stehen viele Apotheken.

Die Apotheken in Deutschland sind nach ihrem Selbstverständnis Logistikweltmeister – ist ein Produkt nicht vorrätig, halten sie es dank eines exzellenten Großhandelsnetzes in zwei bis vier Stunden in Händen. Apotheke und Großhandel sind verpflichtet, den durchschnittlichen Bedarf einer Woche vorzuhalten. Will der Patient sichergehen, dass sein Medikament schon da ist, wenn er in die Apotheke kommt, hat die Apotheke eine digitale Lösung für ihn parat: Per App vorbestellen, mit einem Foto oder einer Sprachnotiz – alles kein Problem mehr. Das funktioniert auch in der Apotheke des Vertrauens, dafür muss niemand nach Holland surfen.
Nun stehen die Versorger aber vor einem neuen Problem: Immer mehr Arzneimittel sind einfach nicht zu bekommen, und zwar für unbestimmte Zeit. Es geht nicht nur um Exoten, sondern auch um gängige Medikamente wie das Schmerzmittel Ibuprofen und diverse Blutdruckmedikamente.
Gerade jährte sich der Valsartan-Skandal: Im Juli 2018 wurde bekannt, dass der Blutdrucksenker mit einem potentiell krebserregenden Stoff verunreinigt war. Viele Gespräche wurden in den Apotheken geführt, damit die Patienten angemessen zu reagieren wussten. Ein schlagartig abgesetzter Blutdrucksenker hätte in diesem Fall für die Patienten ein noch größeres Risiko bedeutet. Die Apotheken konnten aufklären, welche Präparate betroffen waren und welche Alternativen dazu bestanden. In diesem Fall hatten nicht sämtliche Hersteller den Wirkstoff aus ein und derselben Quelle bezogen, sodass es keinen Totalausfall zu beklagen gab. Die Apotheker konnten die Fehler anderer zum Wohle der Patienten ausbügeln.
Die Apotheke versucht alles, um dem Patienten direkt, schnell und unbürokratisch zu helfen. Sie tut dies zum Nulltarif. Bei Einzelfällen ist das kein Problem, aber mittlerweile beträgt der Mehraufwand rund um die Engpässe durchschnittlich sechs – unvergütete – Stunden pro Woche.
Die Lieferengpässe nehmen aktuell spürbar zu, und das gilt für immer mehr relevante Arzneistoffgruppen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zählt bald 500 betroffene Arzneimittel, darunter befinden sich beispielsweise auch die Allergienotfall-Sets. Eine anaphylaktische Reaktion auf einen Insektenstich ist keine Bagatelle – da sind zwei bis drei Monate Lieferzeit keine Lösung.
Auch die Ärzte werden jetzt verstärkt auf das Problem aufmerksam, da die Notwendigkeit von Rücksprachen oder gar einer Therapieumstellung sich häufen. Der Ärztepräsident, Klaus Reinhardt, fordert eine nationale Arzneimittelreserve. Doch diese sollte ja eigentlich schon längst patientennah angelegt sein, in der Apotheke am Platz. Was läuft also schief?
Die Ursachen für Arzneimittel-engpässe sind vielfältig und nicht zuletzt auch dem Spardruck auf das sich stetig verteuernde Gesundheitswesen geschuldet. Die Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern erzeugen mit Blick aufs Gesamtbudget geringe Einsparungen, sorgen aber für eine Konzentration der Herstellung auf wenige Unternehmen, die zudem ihre Produktionsstätten ins Ausland (größtenteils Asien) verlagert haben. Die Produktion in Billiglohnländern – oft in nur einer Fabrik – hat zur Folge, dass bei Qualitätsproblemen oder Ausfällen, wie zum Beispiel 2016 einer Explosion im Falle eines Werkes, in dem Ibuprofen hergestellt wurde, der Wirkstoff komplett ausfällt und am Ende das Fertigarzneimittel nicht mehr lieferbar ist. Die Verfügbarkeit für die Herstellung notwendiger qualitativ hochwertiger Ausgangsstoffe hat sich verschlechtert, ebenfalls, weil es an Herstellern in Deutschland mittlerweile fehlt. Im Vergleich zu beispielsweise Großbritannien ist Deutschland kein Hochpreisland für Arzneimittel, sodass Arzneimittel eher in lukrativeren Märkten abgesetzt werden. So kommt es vor, dass obwohl die Unternehmer versichern, dass sie ausreichend Ware für den deutschen Markt produziert hätten, dieser nicht ausreichend versorgt ist, weil sehr gezielt und in großem Umfang aufgekauft und ins Ausland verkauft wird. Der Import und Export von Arzneimitteln ist in der Europäischen Union im Rahmen des freien Warenverkehrs völlig legal und auch Deutschland profitiert davon: Über eine Quote sind die deutschen Apotheken vom Gesetzgeber verpflichtet, preisgünstige importierte Arzneimittel abzugeben.
Im Ergebnis ist Deutschland nicht mehr die „Apotheke der Welt“, die es einmal war.
Der Apotheker weiß am allerbesten, dass es sich bei Arzneimitteln um Waren ganz besonderer Art handelt. Apotheker Hannes Müller von der Bundesapothekerkammer sagt gegenüber der PAZ: „Wir versuchen im Gespräch mit den Patienten, den Schaden, der durch Irritation und Sorge entsteht, so gering wie möglich zu halten und eine Versorgung zu ermöglichen. Von Hamsterkäufen ist abzuraten, es ist wichtiger, dass die Versorgung in der Fläche so gut wie möglich gewährleistet bleibt und der Engpass nicht noch künstlich verschärft wird. Die Fälle, in denen wir den Patienten mit leeren Händen zurück zum Arzt schicken müssen, werden sich trotzdem häufen. Eine politische Weichenstellung ist im Sinne der Patienten dringend erforderlich. Wir brauchen eine in Qualität und Menge gesicherte Herstellung von Arzneimitteln.“
    Christine Weber
Die Autorin ist Fachapothekerin für Allgemeinpharmazie.

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